Letzte Aktualisierung: 05.Februar 2005

Die Geschichte der
Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen


Die Zeit der Postkutschenreisen

von Jürgen Pepke

Die Art des Reisens besitzt recht vielfältige Möglichkeiten, auch wenn man sich als "moderner" Mensch oft erst an den Gedanken gewöhnen muß, daß Autos und Flugzeuge als Reisevehikel eher neueren Datums sind (ich erlaube mir, das Reisen auf dem Wasser hier auszulassen, da es mir um das Reisen auf dem Landwege geht).

Doch welche Möglichkeiten hatte der Mensch, vor Erfindung beziehungsweise Einführung der Eisenbahn?

Von Anbeginn der Zeiten, als der Mensch den aufrechten Gang gelernt hat, waren für Reisen zuerst die Füße das "Transportmittel", mit welchem er sich von einem Ort zum anderen fortbewegte.

Als nächstes dürfte er sich eines anderen Lebewesens bemächtigt haben, auf dessen Rücken er sich reitend durch die Lande bewegte. Ob es sich hierbei um das Pferd (das wohl bekannteste Reittier), den Esel, einen Stier (oder eher: Ochsen) wie aus der Sage der Entführung Europas durch Zeus bekannt oder ein anderes Tier handelt, wird wohl nicht mehr zu beweisen sein.

Danach dürfte das Anhängen eines Brettes oder Balkens als Sitzgelegenheit an das nun nicht mehr als Reit- sonder als Zugtier genutzte Lebewesen gekommen sein, wie es uns aus den Geschichten und Filmen über Indianer auf dem Gebiet der heutigen USA noch im Gedächtnis ist
(ich zähle der Einfachheit halber auch die Erfindung des Pfluges zu dieser Rubrik). Als Krönung der Fortbewegung gilt jedoch (wohl mit Recht) die Erfindung des Rades vor rund 5.000 Jahren.

Diese Erfindung ermöglichte nicht nur die Fortbewegung von einzelnen Personen, sondern von mehreren Personen gleichzeitig und den Transport von Gütern und Waren auch über weite Strecken, auch die Entstehung der uns bekannten Hochkulturen in der Antike wurde sicherlich durch diese Erfindung erleichtert, wenn nicht sogar erst möglich gemacht.

So änderte sich im Laufe der folgenden Jahrtausende eigentlich nicht viel an der Art und Weise des Reisens, abgesehen von optischen Veränderungen an den fahrenden Vehikeln je nach Einsatzzweck und Zeitgeschmack bzw. der Stellung des Wagenbesitzers.

Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erhielt um das Jahr 1490 Franz von Taxis von Kaiser Maximilian I. den Auftrag, die kaiserlichen Briefe in alle Teile des Reiches zu transportieren.

Es wird angenommen, daß die französischen Stafettenreiter, die mit "postes" bezeichnet wurden, die Namensgeber der Post sind, jedoch stammt es wohl eher vom lateinischen "Posita statio equorum", also der römischen Staatspost.

Franz von Taxis richtete schon bald Stationen (="Posten") im ganzen Reich ein, an denen seine Kurierreiter (an Kutschen wurde damals noch nicht gedacht!) die Schriftstücke an andere Kuriere weitergeben konnten und diese sich mit frischen Pferden auf den Weg machten.

Diese Vorgehensweise "revolutionierte" quasi den Nachrichtentransport, da die Reisegeschwindigkeit der so transportierten Nachrichten von rund 25km am Tag auf gut 160km vergrößert wurde und auch der Transport von Nachrichten für die Kaufleute und einfachen Menschen kam im Laufe der Jahre hinzu.

Im Laufe der Zeit begann jedoch das Monopol der Postmeister von Thurn und Taxis zu bröckeln, da z.B. reisende Kaufleute sich ein Zubrot durch diese Form von Botengängen verdienten, aber auch ganze Berufsgruppen (Zünfte und Gilden)
sich von dem Monopol lösten und eigene Kuriere durch Europa sandten - auch die Fürsten im Reich versuchten eigene Wege zu gehen, was schließlich zum Aufbau der fürstlichen "Posten" (der späteren Länderposten) führte.

Letztendlich erweiterte sich das "Angebot" von Nachrichten auf Pakete und auf den Transport von Personen: das Postkutschenzeitalter hatte begonnen
.

Doch das Reisen hatte für die Menschen seine Tücken: Erwin Maderholz läßt in seinem Buch "Hoch auf dem gelben Wagen - Geschichte und Geschichten um die Postkutsche" Postkutschenreisende des 18. und 19. Jahrhunderts zu Wort kommen (darunter Deutschlands bekanntesten Globetrotter: Johann Wolfgang von Goethe).


In den Berichten wird erwähnt, daß die Postkutschenfahrer nicht immer freundlich zu ihren Fahrgästen waren (S-Bahnfahrgäste können noch heute ein Lied davon singen), wegen der Vielzahl der mitgenommenen Gepäckstücke und Paketsendungen war für die Fahrgäste nur wenig Platz vorhanden (die Folgen waren blaue Flecken aber auch Knochenbrüche), die Fahrgäste saßen dicht aneinander gedrängt und im Winter gab es keine Heizung - Reisen war offensichtlich alles andere als ein erfreulicher Zeitvertreib.

Auch der sogenannte "Wagenumwurf" kam häufiger vor, als wir es uns heute vorstellen können. Die Gründe hierfür waren schlechte Wegstrecken (die Postinhaber waren oftmals für die Pflege und Instandhaltung der Wege selbst verantwortlich und sparten dann am
Straßenbau), enge Straßen, die bei Gegenverkehr dazu zwangen, an den rechten Fahrbanrand zu fahren (und darüber hinweg), schlechter Zustand der Postkutschen (Rad- oder Achsbruch) sowie einschlafende oder unachtsame Postkutschenfahrer.

 Zu beachten ist auch, daß es mindestens zwei Klassen bei der Postkutschennutzung gab: der reguläre Postkutschenbetrieb (mit geschlossenen aber auch mit offenen Kutschen) und der der sogenannten "Eilwägen", was als "Erste Klasse" betrachtet werden darf, da das Reisen hiermit nicht nur teurer, sondern auch komfortabler war (auch, was die Behandlung in den Gasthäusern "Zur Post" angeht).

 Und die Zeit die die Kutschen brauchten? Zumindest waren die Betreiber bemüht, einen regulären und pünktlichen Betrieb durch zu führen. Als Beispiele die Fahrpläne einiger Postkutschverbindungen aus dem Jahre 1847:

Die Strecke München - Salzburg konnte auf 3 Wegen zurückgelegt werden: über Rosenheim und Traunstein, über Wasserburg oder über Ampfing, Altenötting (heute: Altötting) und Burghausen.

Sehen wir uns zuerst die Variante über Wasserburg an (Mg = morgens, Vm =  vormittags, Nm = nachmittags, Ab = abends und Nt = nachts):

München
Wasserburg
Salzburg
Abfahrt
Ankunft
Abfahrt
Ankunft
10 Nt
3 3/4 Mg
4 Mg
1 Nm

Gesamtreisezeit:
15 Stunden

Salzburg Wasserburg
München
Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft
6 Mg
3 1/2 Nm
§ 3/4 Nm
9 3/4 Nt

Gesamtreisezeit: 15 3/4 Stunden

Die Variante über Rosenheim und Traunstein:
München
Rosenheim
Traunstein
Salzburg
Abfahrt
Ankunft
Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft
1 Nm
7 3/4 Ab
8 1/4 Ab
1 3/4 Mg
2 Mg
5 3/4 Mg

Gesamtreisezeit: 16 3/4 Stunden

Salzburg Traunstein
Rosenheim
München
Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft
1 Nm
5 Ab
5 1/4 Ab
11 1/4 Nt
11 1/2 Nt
6 1/4 Mg

Gesamtreisezeit: 17 1/4 Stunden

Zum Schluß noch die Variante über Ampfing, Altenötting und Burghausen:
München
Ampfing
Altenötting
Burghausen
Salzburg
Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft
10 Mg
4 1/2 Nm



10 Nt
5 1/2 Mg
5 3/4 Mg 8 Mg 8 1/4 Mg 9 3/4 Mg

1 1/2 Mg 3 1/4 Mg 3 1/2 Mg 9 3/4 Mg

Gesamtreisezeit: 11 3/4 Stunden

Salzburg
Burghausen
Altenötting
Ampfing
München
Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft Abfahrt Ankunft
3 1/2 Nm
10 Nt
10 1/4 Nt
12 1/4 Nt


5 Ab
6 3/4 Ab
7 1/4 Ab
9 1/2 Ab
9 1/2 Ab
5 Mg

8 Mg
2 3/4 Nm

Gesamtreisezeit: 37 1/2 Stunden

Bei der letztgenannten Variante ist es erforderlich, daß der Reisende umsteigt, jedoch hat
er auch den "Luxus", daß er auf Teilstrecken zwischen 2 Postkutschen wählen kann, was für Gewerbetreibende vielleicht nicht ganz uninteressant war, andererseits mußte der Reisende von Salzburg nach München auch 19 Stunden auf seine Anschlußkutsche warten (in Burghausen oder Altenötting) .

Die Differenz von meist einer Viertelstunde läßt sich durch den Tausch der Pferde erklären, die Aufnahme von Getränken oder ein ordentliches Essen war in dieser Zeit nicht zu schaffen.

Was sich für unsere heutige Zeit vielleicht erstaunlich anhört, ist die Tatsache, daß die oben angeführten Postkutschenverbindungen von München nach Salzburg (bzw. umgekehrt) täglich befahren wurden, also auch an Sonn- und Feiertagen.

Die für den Postkutschenbetrieb zuständigen Verwaltungen stimmten die Fahrpläne sorgfältig aufeinander ab und auch Fernverbindungen, nicht nur in angrenzende, sondern auch in weiter entfernte Länder fanden regelmäßig statt. Nachdem die ersten Bahnstrecken gebaut waren, wurden diese in die Fahrplanordnung mit eingebunden.

Durch den Ausbau des Netzes und auch durch Regionalisierung (heute würden wir wohl von Nahverkehr sprechen), wurde einer der Grundpfeiler des Eisenbahnwesens gegründet: die regelmäßige Beförderung von Personen und Gütern von A nach B.

Bei der Planung neuer Eisenbahnstrecken wurde daher zuallererst einmal bei den "Kollegen" der Post nachgefragt, wie stark denn die auf diesen Strecken befindlichen Postkutschenlinien frequentiert würden.

Im Falle der Traunstein - Ruhpoldinger Strecke konnte das Kgl. Oberpostamt folgende Zahlen für das Jahr 1888 vermelden:

Monat
Ruhpolding
Eisenärzt
Siegsdorf
Traunstein
Summa
Januar
49
4
21
54
128
Februar
39
4
13
53
109
März
55
9
13
50
127
April
44
1
18
60
123
Mai
43
3
21
60
127
Juni
54
2
37
116
209
Juli
56
2
70
111
239
August
72
4
72
147
295
September
105
3
37
77
222
Oktober
60
2
35
72
169
November
39
4
21
54
118
Dezember
47
7
29
55
138
Summa
663
45
387
909
2.004

Die Zahl von 2.004 Fahrgästen im Jahr, die Einwohnerstatistik sowie der Tourismus jener Tage rechtfertigte also den Bau dieser Lokalbahnstrecke.

Daß den Postkutschenfahrern diese Entwicklung nicht gefallen hat und von Beginn an die Eisenbahn durch die Postkutschenbetreiber und -fahrer schlecht geredet wurde, ist nicht nur anzunehmen, sondern darf als sehr wahrscheinlich gesehen werden - aber mal ehrlich: wer will diesen ein solches Vorgehen verübeln, ging es doch in erster Linie um ihre Arbeit und damit um die Möglichkeit, die Familie zu Hause zu ernähren.

Aber geholfen hat es diesen nicht, der Siegeszug der Eisenbahn war nicht aufzuhalten, Kutschen wurden nur noch dort benötigt, wo die Eisenbahn noch nicht fuhr oder aus geographischen oder sonstigen Gründen auch nie hinkommen sollte. Als nächstes wurde durch Bayern erstmals erfolgreich der Kraft-Omnibus eingeführt, der den Einsatz der echten "Pferdestärken" immer weiter einschränkte.

In den Städten Europas gehörten Sie jedoch noch bis weit in die 1920er Jahre zum täglichen Bild, wie auch auf vielen Postkarten und Fotos dieser Zeit zu bewundern ist. Doch der Siegeszug des Automobils sollte den verbliebenen Kutschern auch noch diese Möglichkeit, ihr Auskommen zu sichern, weg nehmen. Die Seelenlage eines solchen Kutschers hat Hans Fallada in seinem Buch "Der eiserne Gustav" eindrucksvoll beschrieben.

Heute gibt es nur noch einige wenige Pferdebesitzer, die sich und ihrer Familie einen Sonntagsausflug mit der Kutsche gönnen - zumindest in Deutschland, in anderen Regionen der Welt, aber auch in einigen Staaten Europas ist der Transport von Gütern und Personen mit Pferdekraft alltäglich. Außerdem besteht an touristisch bedeutenden Orten die Möglichkeit, sich von professionellen Kutschern einmal in die "Gute alte Zeit" zurück versetzen zu lassen oder in romantischer Verklärung sich anläßlich seiner Hochzeit von der Kirche zum Ort der Hochzeitsfeier in einer weißen Kutsche fahren zu lassen.


Die Vergangenheit und die Gegenwart des Reisens...

Quellen: Erwin Maderholz: Hoch auf dem gelben Wagen - Geschichte und Geschichten um die Postkutsche; W.Ludwig Buchverlag GmbH&Co.VerlagsKG
             Karte und Kartenausschnitt aus "Übersicht des Laufs der Eilwägen und der damit in Verbindung stehenden Eisenbahnen im Königreich Bayern und Theile der angrenzenden Staaten mit Angaben des Fahrplanes" von 1847; Maßstab 1:690.000; Bayerische Staatsbibliothek in München; Signatur: Mapp. XI 655e

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