von Jürgen Pepke
Die Art des
Reisens besitzt recht vielfältige Möglichkeiten, auch wenn
man sich als "moderner" Mensch oft erst an den Gedanken gewöhnen
muß, daß Autos und Flugzeuge als Reisevehikel eher neueren
Datums sind (ich erlaube mir, das Reisen auf dem Wasser hier
auszulassen, da es mir um das Reisen auf dem Landwege geht).
Doch welche
Möglichkeiten hatte der Mensch, vor Erfindung
beziehungsweise Einführung der Eisenbahn?
Von Anbeginn der Zeiten, als der Mensch den aufrechten Gang gelernt
hat, waren für Reisen zuerst die Füße das "Transportmittel", mit
welchem er sich von einem Ort zum anderen fortbewegte.
Als nächstes dürfte er sich eines anderen Lebewesens
bemächtigt haben, auf dessen Rücken er sich reitend durch die
Lande bewegte. Ob es sich hierbei um das Pferd (das wohl bekannteste
Reittier), den Esel, einen Stier (oder eher: Ochsen) wie aus der Sage
der Entführung Europas durch Zeus bekannt oder ein anderes Tier
handelt, wird wohl nicht mehr zu beweisen sein.
Danach dürfte das Anhängen eines Brettes oder
Balkens als Sitzgelegenheit an das nun nicht mehr als Reit- sonder als
Zugtier genutzte Lebewesen gekommen sein, wie es uns aus den
Geschichten und Filmen über Indianer auf dem Gebiet der heutigen
USA noch im Gedächtnis ist (ich zähle
der Einfachheit halber auch die Erfindung
des Pfluges zu dieser Rubrik). Als Krönung
der Fortbewegung gilt jedoch (wohl mit Recht) die Erfindung des Rades
vor rund 5.000 Jahren.
Diese Erfindung ermöglichte nicht nur die Fortbewegung von
einzelnen Personen, sondern von mehreren Personen gleichzeitig und den
Transport von Gütern und Waren auch über weite Strecken, auch
die Entstehung der uns bekannten Hochkulturen in der Antike wurde
sicherlich durch diese Erfindung erleichtert, wenn nicht sogar erst
möglich gemacht.
So änderte sich
im Laufe der folgenden Jahrtausende
eigentlich nicht viel an der Art und Weise des Reisens, abgesehen von
optischen Veränderungen an den fahrenden Vehikeln je nach
Einsatzzweck
und Zeitgeschmack bzw. der Stellung des Wagenbesitzers.
Im Heiligen Römischen Reich Deutscher
Nation erhielt um das Jahr
1490 Franz von Taxis von Kaiser Maximilian I. den Auftrag, die
kaiserlichen Briefe in alle Teile des Reiches zu
transportieren.
Es wird angenommen, daß die
französischen Stafettenreiter, die mit "postes" bezeichnet wurden,
die Namensgeber der Post sind, jedoch stammt es wohl eher vom
lateinischen "Posita statio equorum", also der römischen
Staatspost.
Franz von Taxis richtete schon bald Stationen (="Posten") im ganzen
Reich ein, an
denen seine Kurierreiter (an Kutschen wurde damals noch nicht gedacht!)
die Schriftstücke an andere Kuriere weitergeben konnten und diese
sich mit frischen Pferden auf den Weg machten.
Diese Vorgehensweise "revolutionierte" quasi den
Nachrichtentransport,
da die Reisegeschwindigkeit der so transportierten Nachrichten von rund
25km am Tag auf
gut 160km vergrößert wurde und auch der Transport von
Nachrichten für die Kaufleute und einfachen Menschen kam im Laufe
der Jahre hinzu.
Im Laufe der Zeit begann jedoch das Monopol der Postmeister von Thurn
und Taxis zu bröckeln, da z.B. reisende Kaufleute sich ein Zubrot
durch diese Form von Botengängen verdienten, aber auch ganze
Berufsgruppen (Zünfte und Gilden) sich von
dem Monopol lösten und eigene Kuriere durch Europa sandten - auch
die Fürsten im Reich versuchten
eigene Wege zu gehen, was schließlich zum Aufbau der
fürstlichen "Posten" (der späteren Länderposten)
führte.
Letztendlich erweiterte sich das "Angebot" von Nachrichten auf Pakete
und auf den Transport von Personen: das Postkutschenzeitalter hatte
begonnen.
Doch das Reisen hatte für die Menschen seine Tücken: Erwin
Maderholz läßt in seinem Buch "Hoch auf dem gelben Wagen -
Geschichte und Geschichten um die Postkutsche" Postkutschenreisende des
18. und 19. Jahrhunderts zu Wort kommen (darunter Deutschlands
bekanntesten Globetrotter: Johann
Wolfgang von Goethe).
In den Berichten wird erwähnt, daß die Postkutschenfahrer
nicht immer freundlich zu ihren Fahrgästen waren
(S-Bahnfahrgäste können noch heute ein Lied davon singen),
wegen der Vielzahl der mitgenommenen Gepäckstücke und
Paketsendungen war für die Fahrgäste nur wenig Platz
vorhanden (die Folgen waren blaue Flecken aber auch
Knochenbrüche), die Fahrgäste saßen dicht aneinander
gedrängt und im Winter gab es keine Heizung - Reisen war
offensichtlich alles andere als ein erfreulicher Zeitvertreib.
Auch der sogenannte "Wagenumwurf" kam häufiger vor, als wir es uns
heute vorstellen können. Die Gründe hierfür waren
schlechte Wegstrecken
(die Postinhaber waren oftmals für die
Pflege und Instandhaltung der Wege selbst verantwortlich und sparten
dann am Straßenbau),
enge Straßen, die bei Gegenverkehr
dazu zwangen, an den rechten Fahrbanrand zu fahren (und darüber
hinweg), schlechter Zustand der Postkutschen (Rad- oder Achsbruch)
sowie einschlafende oder unachtsame Postkutschenfahrer.
Zu beachten ist auch, daß es
mindestens zwei Klassen bei der
Postkutschennutzung gab: der reguläre
Postkutschenbetrieb (mit
geschlossenen aber auch mit offenen Kutschen) und der der sogenannten
"Eilwägen", was als "Erste Klasse" betrachtet werden darf, da das
Reisen hiermit nicht nur teurer, sondern auch komfortabler war (auch,
was die Behandlung in den Gasthäusern "Zur Post" angeht).
Und die Zeit die
die
Kutschen brauchten? Zumindest waren die Betreiber
bemüht, einen regulären und pünktlichen Betrieb durch zu
führen. Als Beispiele die Fahrpläne einiger
Postkutschverbindungen aus dem Jahre 1847:
Die Strecke München - Salzburg konnte auf 3 Wegen
zurückgelegt werden: über Rosenheim und Traunstein, über
Wasserburg oder über Ampfing, Altenötting (heute:
Altötting) und Burghausen.
Sehen wir uns zuerst die Variante über Wasserburg an (Mg =
morgens, Vm = vormittags, Nm = nachmittags, Ab = abends und Nt =
nachts):
München
|
Wasserburg
|
Salzburg
|
Abfahrt
|
Ankunft
|
Abfahrt
|
Ankunft
|
10 Nt
|
3 3/4 Mg
|
4 Mg
|
1 Nm
|
|
Gesamtreisezeit:
|
15 Stunden
|
|
Salzburg |
Wasserburg
|
München |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
6 Mg
|
3 1/2 Nm
|
§ 3/4 Nm
|
9 3/4 Nt
|
|
Gesamtreisezeit: |
15 3/4 Stunden |
Die Variante über Rosenheim und Traunstein:
München
|
Rosenheim
|
Traunstein
|
Salzburg
|
Abfahrt
|
Ankunft
|
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
1 Nm
|
7 3/4 Ab
|
8 1/4 Ab
|
1 3/4 Mg
|
2 Mg
|
5 3/4 Mg
|
|
Gesamtreisezeit: |
16 3/4 Stunden |
|
Salzburg |
Traunstein
|
Rosenheim
|
München |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
1 Nm
|
5 Ab
|
5 1/4 Ab
|
11 1/4 Nt
|
11 1/2 Nt
|
6 1/4 Mg
|
|
Gesamtreisezeit: |
17 1/4 Stunden |
Zum Schluß noch die Variante über Ampfing, Altenötting
und Burghausen:
München
|
Ampfing
|
Altenötting
|
Burghausen
|
Salzburg
|
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
10 Mg
|
4 1/2 Nm
|
|
|
10 Nt
|
5 1/2 Mg
|
5 3/4 Mg |
8 Mg |
8 1/4 Mg |
9 3/4 Mg |
|
1 1/2 Mg |
3 1/4 Mg |
3 1/2 Mg |
9 3/4 Mg |
|
Gesamtreisezeit: |
11 3/4 Stunden |
|
Salzburg
|
Burghausen
|
Altenötting
|
Ampfing
|
München
|
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
Abfahrt |
Ankunft |
3 1/2 Nm
|
10 Nt
|
10 1/4 Nt
|
12 1/4 Nt
|
|
|
5 Ab
|
6 3/4 Ab
|
7 1/4 Ab
|
9 1/2 Ab
|
9 1/2 Ab
|
5 Mg
|
|
8 Mg
|
2 3/4 Nm
|
|
Gesamtreisezeit: |
37 1/2 Stunden |
Bei der letztgenannten Variante ist es erforderlich, daß der
Reisende umsteigt, jedoch hat er
auch den "Luxus", daß er auf
Teilstrecken zwischen 2 Postkutschen wählen
kann, was für
Gewerbetreibende vielleicht nicht ganz uninteressant war, andererseits
mußte der Reisende von Salzburg nach München auch 19 Stunden
auf seine Anschlußkutsche warten (in Burghausen oder
Altenötting) .
Die Differenz von meist einer Viertelstunde läßt sich durch
den Tausch der Pferde erklären, die Aufnahme von Getränken
oder ein ordentliches Essen war in dieser Zeit nicht zu schaffen.
Was sich für
unsere heutige Zeit vielleicht erstaunlich anhört, ist die
Tatsache, daß die oben angeführten Postkutschenverbindungen
von München
nach Salzburg (bzw. umgekehrt) täglich befahren wurden, also auch
an
Sonn- und Feiertagen.
Die für den Postkutschenbetrieb zuständigen
Verwaltungen stimmten die Fahrpläne sorgfältig aufeinander ab
und auch Fernverbindungen, nicht nur in angrenzende, sondern auch in
weiter entfernte Länder fanden regelmäßig statt.
Nachdem die ersten Bahnstrecken gebaut waren, wurden diese in die
Fahrplanordnung mit eingebunden.
Durch den Ausbau des Netzes und auch durch
Regionalisierung (heute würden wir wohl von Nahverkehr sprechen),
wurde
einer der Grundpfeiler des Eisenbahnwesens gegründet: die
regelmäßige
Beförderung von Personen und Gütern von A nach B.
Bei der Planung neuer Eisenbahnstrecken wurde daher zuallererst einmal
bei den "Kollegen" der Post nachgefragt, wie stark denn die auf diesen
Strecken befindlichen Postkutschenlinien frequentiert würden.
Im Falle der Traunstein - Ruhpoldinger Strecke konnte das Kgl.
Oberpostamt folgende Zahlen für das Jahr 1888 vermelden:
Monat
|
Ruhpolding
|
Eisenärzt
|
Siegsdorf
|
Traunstein
|
Summa
|
Januar
|
49
|
4
|
21
|
54
|
128
|
Februar
|
39
|
4
|
13
|
53
|
109
|
März
|
55
|
9
|
13
|
50
|
127
|
April
|
44
|
1
|
18
|
60
|
123
|
Mai
|
43
|
3
|
21
|
60
|
127
|
Juni
|
54
|
2
|
37
|
116
|
209
|
Juli
|
56
|
2
|
70
|
111
|
239
|
August
|
72
|
4
|
72
|
147
|
295
|
September
|
105
|
3
|
37
|
77
|
222
|
Oktober
|
60
|
2
|
35
|
72
|
169
|
November
|
39
|
4
|
21
|
54
|
118
|
Dezember
|
47
|
7
|
29
|
55
|
138
|
Summa
|
663
|
45
|
387
|
909
|
2.004
|
Die Zahl von 2.004
Fahrgästen im Jahr, die
Einwohnerstatistik sowie der Tourismus jener Tage rechtfertigte also
den Bau dieser Lokalbahnstrecke.
Daß den Postkutschenfahrern diese Entwicklung nicht gefallen hat
und von Beginn an die Eisenbahn durch die Postkutschenbetreiber und
-fahrer schlecht geredet wurde, ist nicht nur anzunehmen, sondern darf
als sehr wahrscheinlich gesehen werden - aber mal ehrlich: wer will
diesen ein solches Vorgehen verübeln, ging es doch in erster Linie
um ihre Arbeit und damit um die Möglichkeit, die Familie zu Hause
zu ernähren.
Aber geholfen hat es diesen nicht, der Siegeszug der Eisenbahn war
nicht aufzuhalten, Kutschen wurden nur noch dort benötigt, wo die
Eisenbahn noch nicht fuhr oder aus geographischen oder sonstigen
Gründen auch nie hinkommen sollte. Als nächstes wurde durch
Bayern erstmals erfolgreich der Kraft-Omnibus eingeführt, der den
Einsatz der echten "Pferdestärken" immer weiter einschränkte.
In den Städten Europas gehörten Sie jedoch noch bis weit in
die 1920er Jahre zum täglichen Bild, wie auch auf vielen
Postkarten und Fotos dieser Zeit zu bewundern ist. Doch der Siegeszug
des Automobils sollte den verbliebenen Kutschern auch noch diese
Möglichkeit, ihr Auskommen zu sichern, weg nehmen. Die Seelenlage
eines solchen Kutschers hat Hans Fallada in seinem Buch "Der eiserne
Gustav" eindrucksvoll beschrieben.
Heute gibt es nur noch einige wenige Pferdebesitzer, die sich und ihrer
Familie einen Sonntagsausflug mit der Kutsche gönnen - zumindest
in Deutschland, in anderen Regionen der Welt, aber auch in einigen
Staaten Europas ist der Transport von Gütern und Personen mit
Pferdekraft alltäglich. Außerdem besteht an touristisch
bedeutenden Orten die
Möglichkeit, sich von professionellen Kutschern einmal in die
"Gute alte Zeit" zurück versetzen zu lassen oder in romantischer
Verklärung sich anläßlich seiner Hochzeit von der
Kirche zum Ort der Hochzeitsfeier in einer weißen Kutsche fahren
zu lassen.
Die
Vergangenheit und die Gegenwart des Reisens...
Quellen: Erwin Maderholz: Hoch auf dem gelben Wagen - Geschichte
und Geschichten um die Postkutsche; W.Ludwig Buchverlag
GmbH&Co.VerlagsKG
Karte und
Kartenausschnitt aus "Übersicht des Laufs der Eilwägen und
der
damit in Verbindung
stehenden Eisenbahnen im Königreich Bayern und Theile der
angrenzenden Staaten mit Angaben des Fahrplanes" von 1847;
Maßstab 1:690.000; Bayerische Staatsbibliothek in München;
Signatur: Mapp. XI 655e